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Türchen Nr. 12 "Spiel"

Nur ein Spiel

 

Jutta unterdrückte ihr Schluchzen, als die Tür der Toilette geöffnet wurde. Die Musik und die fröhlichen Stimmen, die von der ausgelassenen Weihnachtsfeier hereindrangen, wurden wieder leiser, als die Tür zuschnappte.

„Hey, Jutta, bist du hier?“ Lisas Stimme war anzuhören, dass sie nicht mehr ganz nüchtern war. „Sitzt du hier etwa und heulst?“

Ausgerechnet Lisa, die immer einen auf nett und freundlich machte, wenn man allein mit ihr sprach, und die sich heute vor allen Kollegen auf ihre Kosten lustig gemacht hatte. Schnell wischte sich Jutta die Tränen aus dem Gesicht, schloss die Kabinentür auf und stellte sich neben die Kollegin ans Waschbecken.

„Was sollte dieser Mist? Eine Riesenpackung Kondome und dazu noch der blöde Spruch ‚Für eine, die es mal wieder nötig hat‘?“

„Ach, du meine Güte! Ist doch nur ein Spiel. Hast du etwa noch nie gewichtelt?“ Lisa grinste breit über Juttas Empörung. „Da macht man sich halt unsinnige Geschenke und hat jede Menge Spaß dabei.“

„Und ich dachte, dies sei eine nette Feier unter Kollegen, kein Zickenkrieg im Kindergarten.“

„Pah, dann darf man sich auch nicht wie eine arrogante Ziege benehmen, oder? Hältst dich doch für was Besseres, das merkt man sofort. Nur der Chef wäre gut genug, was?“

Spontan verpasste Jutta ihrer Kollegin für diese Frechheit eine schallende Ohrfeige, was sie selbst mindestens genauso entsetzte wie die Geschlagene. So etwas hatte sie noch nie getan, und zu ihrer Verblüffung fühlte es sich gut an, richtig gut. Vielleicht sollte sie rausgehen und allen eine scheuern?

 

(Anathea Westen)

 


Weihe-Nacht

 

Voller Spannung verfolgte Ada das Spiel der Farben, die sich in dem Kessel verwoben, wieder auseinanderflossen, sich umkreisten. Es gab für sie nichts Schöneres, als neue Kompositionen zu schaffen, die die Welt zum Strahlen und die Menschen zum Lächeln brachten. Behutsam öffnete sie die Kapsel mit dem Mohn-Rot und gab ein wenig davon in den Kessel. Sofort wurden die Bewegungen der Mischung schneller, ungeduldiger. „Schon gut, schon gut“, murmelte sie, fügte ein winziges Stück der Indigo-Bohne und ein paar Körner des Smaragd-Sandes hinzu, um dann verzückt zuzuschauen, wie das Leuchten im Kessel immer heller wurde. Heute würde sie es schaffen. Es würde das prächtigste Farbenfeuer werden, das die Buntwelt je zur Weihe-Nacht gesehen hatte.

 

Ehrfurchtsvoll holte sie den Beutel mit dem Diamant-Schein hervor. Die Legenden besagten, dass es einst Künstler gegeben hatte, die damit Farben schufen, gegen die das Licht der Sonne fahl aussah. Wie alle jungen Buntweltler, die als Farbenkind geboren wurden, träumte Ada davon, eines Tages zu jenen Künstlern zu gehören, die diese Welt mit ihren eigenen Inspirationen noch kostbarer machten. Vorsichtig gab sie einen Hauch von Diamant in ihre Mischung, ließ sich hintenüber fallen, als die Farben aus dem engen Behältnis brachen, um sich dem Himmel entgegenzustrecken. Ihr Lachen perlte über die bunten Blumenwiesen, als sie staunend beobachtete, wie die Farben immer höher stiegen, sich mit dem ungetrübten Blau des Himmels vermischten. Sie hatte es wirklich geschafft, ihre Farben stiegen bis in den Äther, um sich dort auszubreiten und die gesamte Buntwelt in ein Tuch aus Farben zu hüllen.

 

(Anathea DellEste)

 

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