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Februar - Fiebertraum: Heißes Pflaster

Heißes Pflaster

 

Das Leben in Reyanda glich einem Fiebertraum – wirr, heiß und manchmal tödlich. Jesso konnte sich nicht vorstellen, an einem anderen Ort zu leben, denn als typisches Kind dieser Stadt war er mit deren Gefahren aufgewachsen. Und nun würden seine besonderen Fähigkeiten die Goldtaler nur so in seinen Geldbeutel hüpfen lassen.

„Damit wir uns richtig verstehen, Master Jesso – sollte meiner Tochter in Eurer Obhut etwas geschehen, dann stürzt Ihr Euch besser gleich in das nächste Schwert.“ Der Mann, der diese Drohung ganz beiläufig fallen ließ, war kein Geringerer als der Herr der Stadt, der Großherzog Arigowan von Reyandien. Ein Fingerschnippen von ihm reichte aus, um Köpfe rollen zu lassen.

„Nun, ein Gang über den Blauen Markt birgt selbst für einen erfahrenen Krieger Gefahren und umso mehr für eine junge Dame aus wohlhabendem Hause. Ihr habt zudem zahlreiche Feinde, die sich überaus glücklich schätzen würden, wenn sie Eure Tochter in die Hände bekämen.“ Obwohl er wusste, wie gefährlich es war, Arigowan gegen sich aufzubringen, konnte sich Jesso nicht zurückhalten. „Seid Ihr wirklich sicher, dass dies eine gute Idee ist?“

„Wohl kaum.“ Ein leichtes Lächeln zeigte, dass der mächtige Mann den Einwurf nicht übelnahm. „Aber Myrlanda besteht darauf, und deshalb werdet Ihr diesen Ausflug ermöglichen, oder sollte der Ruf, der Euch vorauseilt, etwa nicht gerechtfertigt sein?“

 

Jesso knirschte mit den Zähnen, als er sich umdrehte und feststellen musste, dass sein Schützling nicht einmal ansatzweise daran dachte, sich an seine Anweisungen zu halten. „Setzt die Kapuze wieder auf, und zwar sofort“, zischte er und griff dann selbst zu, um den rauen Stoff über das seidig glänzende Haar zu ziehen. Drohend hob er den Finger, um das einsetzende Gezeter im Keim zu ersticken. „Ich sage es Euch nur noch ein einziges Mal, und wenn Ihr nicht gehorcht, dann ist dieser kleine Ausflug auf der Stelle vorbei – benehmt Euch unauffällig! Haltet den Umhang geschlossen, das Haar bedeckt und den Blick gesenkt.“

„Wie soll ich mich hier denn umsehen, wenn ich auf den Boden glotzen muss? So ein ängstlicher Leibwächter ist mir wirklich noch nie untergekommen!“

Er würgte einen wütenden Kommentar herunter und antwortete betont kühl: „Ihr ward bisher auch noch nie an einem derart gefährlichen Ort.“ Leise setzte er hinterher: „Was für eine verzogene Göre.“

„Das habe ich gehört“, kam es nicht minder kühl zurück. „Niemand hier kennt mein Gesicht, warum also diese Vermummung?“

Jesso seufzte. „Jedermann auf diesem Markt wird Euch sofort angaffen, weil Ihr anders ausseht als die Leute hier. Seht hin, fällt Euch auch nur eine einzige Frau auf, die auch nur halb so gepflegt erscheint wie Ihr?“

Nach einem Moment des Schweigens ertönte ein leises Schnauben aus der Kapuze. „Nein, wohl kaum. Was ist denn mit diesen Leuten los? Wissen sie nicht, wie man sich und die eigenen Haare wäscht?"

Die Abneigung, die sich kurzfristig gelegt hatte, flammte erneut auf. „Nun, Gnädigste, vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass es ein kalter, nasser und viel zu langer Winter ist. Die einfachen Menschen, die Ihr hier seht, haben leider niemanden, der ihnen warmes Wasser zum Baden hinterherträgt. Oh, und die meisten haben nicht einmal genug Geld, um sich überhaupt Feuerholz leisten zu können. Sich die Haare zu waschen und täglich zu bürsten, steht auf deren Liste ganz weit unten, das könnt Ihr mir glauben.“

Er hörte nicht, was sie antwortete, denn sein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Noch bevor er sein Messer überhaupt ziehen konnte, wurde Myrlanda von zwei groben Kerlen weggezogen, während ihm gleichzeitig etwas Hartes mit voller Wucht auf den Schädel krachte. Ich brauche gar nicht mehr aufzuwachen, war sein letzter Gedanke. Ich bin bereits ein toter Mann.

 

(Anathea DellEste)

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