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Türchen Nr. 6 "Buch"

 Ein mächtiger Spruch

 

Pulcheria ist krank. Alle Junghexer starren sich an. Was tun? Nichts, so wie bisher, ist keine Lösung. Tatenlos hatten sie zugesehen, wie das Trio des Schreckens - Devota, Famosa und Doloria - sie niedermachten. Die einen wollten sich nicht einmischen, andere hatten Angst davor. Nach dem Motto - besser Pulcheria als ich.

„Ich könnte ihr eine Eule aus Papier hexen und sie ihr schenken“, meint Lumosa.

„Das geht nicht. Magica hat unsere Kräfte weggenommen, bis wir uns vernünftig benehmen. Außerdem weiß ich keine Magie, die unser Handeln rückgängig macht. Ein Geschenk, das hilft nicht."

 

Astra hat Recht. Aber was können sie machen? Ein jeder würde am liebsten die Zeit zurückhexen. Zurück an den Tag, als sie ankam. Die Neue in bunten Gewändern mit den großen Ohren. So anders als das traditionelle Schwarz. So gut im Zaubern. Kein Wunder, dass das Trio neidisch war. Ihre Ohren waren nur ein billiger Grund, um sie fertig zu machen. In Wahrheit ging es nie um die Ohren, sondern um ihre Stärke im Hexen. Neid hatte das Trio angestachelt. Sie als Klassenkameraden hatten einfach zugesehen, sie „Hässliche Hexe“, gerufen. Nun hat sie Fieber, Angst lähmt sie. So mächtig ist Mobbing. Es hinterlässt unsichtbare Wunden auf der Seele.

„Verhext noch Mal. Wie sollen wir ihr ohne Zauber helfen?“, ruft Lumos.

„Ich weiß einen, der in keinem Hexenbuch steht. Er ist anders als jeder Spruch. Dabei kommt es nicht auf die Fantasie, sondern wirklich auf die Worte an. Er muss ehrlich gesprochen werden:

 Es tut uns leid.“

 

(Havenne Therese, Autorin aus Luxemburg)

 


Unvergessen

 

Eine Weihnachtsmelodie summend stieg Sophie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, wobei sie die Post sortierte, die sie unten aus dem Briefkasten geholt hatte. Wieder waren mindestens drei neue Weihnachtskarten dabei, die zusammen mit den anderen die Fensterbank schmücken würden. „Ich liebe Überraschungen“, murmelte sie, als sie auf der Fußmatte vor ihrer Tür ein kleines Paket liegen sah. Sie wendete es hin und her, konnte aber keinerlei Aufkleber finden. Ein Buch oder vielleicht eine Pralinenschachtel, eingeschlagen in Weihnachtspapier.

Es war ihr erstes Weihnachtsfest nach der Rückkehr aus dem Ausland, und sie würde es allein verbringen, doch das war sie gewohnt. Sie zelebrierte das Auspacken der verschiedenen Geschenke, doch sie stutzte, als sie das Buch sah, das vor der Tür gelegen hatte. Niemand, der sie und ihre Geschichte kannte, hätte ihr ein Buch über einen Serienmörder geschenkt.

 

Sie kannte keinen anderen Menschen, in dessen Umfeld so viele Menschen gestorben oder gar getötet worden waren. Irgendwann war sie nach Asien geflohen, weil sie das Gefühl hatte, allen Unglück zu bringen, und das hatte den Fluch gebrochen. Dort waren weder Postboten, Kollegen noch Nachbarn gestorben. Der Klappentext verriet, dass das Buch von einem echten Mörder geschrieben worden war, der nun im Gefängnis saß und darüber sinnierte, dass seine Taten aus Liebe begangen worden waren. Die Kapitel waren den Opfern gewidmet - dem Busfahrer, der Krankenschwester, dem Postboten… Die Aufzählung ließ sie frösteln. Als sie es schließen wollte, klappte die Seite mit der Widmung auf:

Alles für meine Sophie. Wir sehen uns wieder.

 

(Anathea North)

 

 

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