Nachricht aus der Vergangenheit
Überrascht blinzelte Lana, als unter den alten Wolldecken eine schön verzierte Metallschachtel zum Vorschein kam. Sie öffnete sie und traute ihren Augen nicht, als sie darin einen Umschlag fand, auf dem in Schönschrift geschrieben stand: ‚Frohe Weihnacht, mein liebes Kind‘. Sie hatte immer gewusst, dass sie adoptiert worden war, sich aber nie für ihre leiblichen Eltern interessiert. Jene wollten sie nicht haben, bei ihrer neuen Familie hatte sie es gut.
Nun war sie endlich soweit, sich das unerwartet geerbte Haus und dessen Inhalt anzuschauen, um vielleicht etwas über diese Frau zu erfahren, die sie zwar geboren, doch dann nie wieder eine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. Es gab keinen Hinweis auf ein anderes Kind; ob der Brief tatsächlich für sie war?
Mein liebes Kind,
ich kenne deinen Namen nicht, weiß nicht einmal, ob Du zu einer wunderschönen jungen Dame oder einem ansehnlichen jungen Mann herangewachsen bist. Kein einziger Blick wurde mir vergönnt; kaum auf der Welt, da hatte man Dich mir schon weggenommen.
Lana liefen die Tränen herunter, als sie las, wie verzweifelt die viel zu junge Frau versucht hatte, ihr Kind behalten zu können. Wie die Eltern sie bis zur Geburt in einem Heim versteckten, um sie anschließend mit einem älteren Mann zu verheiraten. Wie sehr ihre leibliche Mutter gehofft hatte, ihr Kind wenigstens noch einmal sehen zu können.
Sie würde diesen Brief mitnehmen und morgen, am Heiligabend, noch einmal mit ihren Eltern lesen. Sie würden gemeinsam um diese junge Frau von damals trauern.
(Anathea Westen)
Hexenwalzer
Als der Rabe durch das geöffnete Fenster geschwebt kam und den knallrosa Briefumschlag direkt vor ihr in die Kräuter fallenließ, verdrehte Lakkariza genervt die Augen.
„Nein, meine Antwort lautet ‚Nein‘! Sag das deiner Herrin und dann scher dich aus meiner Pfefferminze. Ich bin nicht interessiert!“ Mit wütenden Handbewegungen scheuchte sie den schwarzen Vogel aus dem Haus und schloss das Fenster. Den entsetzlich aufdringlichen Brief warf sie auf die Kommode. Sie würde ihn später ungelesen ins Kaminfeuer werfen, jawohl.
Nach einer guten halben Stunde gab sie auf, schnappte sich den Brief und warf sich in ihren Schaukelstuhl, der rasch ihren Gemütszustand einschätzte, um ein beruhigendes Schaukeln vorzulegen. „Seit Myrtesia den Vorsitz im Hexenrat übernommen hat, ist es mit der Ruhe vorbei“, murrte Lakkariza, während sie das Schreiben überflog. Die Runzeln auf der Stirn wurden immer tiefer, als sie von ‚Hexentanz‘, ‚eleganter Kleidung‘ und ‚bitte ohne Amulette’ lesen musste. „Na warte!“, grummelte sie. „So einen Firlefanz machen wir nicht mit.“
Stolz stellte sie fest, dass alle Hexenkolleginnen gekommen waren - wie sie selbst in Arbeitskluft und voll behängt mit ihrem Schmuck. Bis Myrtesia strahlte, weil so viele so hexenmäßig zum Tanz gekommen waren. Dabei hatte kaum jemand kommen wollen, wie garstig! Worauf konnte man sich denn noch verlassen, wenn es nicht einmal ausreichte, das genaue Gegenteil von dem zu tun, was gefordert wurde? Wenn man nun jedes Mal befürchten musste, exakt das zu tun, was der Vorstand wollte? Lakkarizia beschloss, darüber bei einem Walzer mit dem Zauberer aus den Bergen nachzudenken.
(Anathea DellEste)
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