Spiel mit dem Feuer
Unruhig wälzte ich mich im Bett, eine unbestimmte Angst quälte meine Seele. Eiseskälte nagte trotz voll aufgedrehter Heizung und Polardecke an mir. Draußen heulte der Sturm, die vor dem Fenster stehende alte, kahle Eiche warf gespenstige Schatten auf die Zimmerwände. Ich schloss die Augen, versuchte einzuschlafen. Auf Schlaftabletten wollte ich als allerletztes Mittel zurückgreifen. Nein, ich würde der Versuchung widerstehen. Ich wand mich zur Seite und fuhr aus dem Bett hoch. Eine mir bekannte Gestalt, von der ich gehofft hatte, sie erst in hohem Alter wieder zu sehen, stand mitten im Zimmer. Was machte er hier?
Seelenruhig trat Leras an mein Bett heran, legte mir die Hand auf die Stirn. Seine Augen waren zwei enge Schlitze, der Blick todernst. Ich wollte fragen, was los sei, aber mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Ohne ein Wort der Erklärung, drückte er mit der zweiten Hand auf mein Herz und sprach die Worte, die ich am meisten fürchtete und erwartete.
„Lass dich gehen.“
Eine Angst, für die es keinen Namen geben konnte, erfüllte meine Brust, stechende Schmerzen breiteten sich bis in meinen linken Arm aus. Entsetzt starrte ich ihn an. Ich erlitt einen Infarkt. Sollten es nicht mehr als zehn Jahren gewesen sein, die mir gegeben wurden?
„Lass dich gehen. Hör auf zu kämpfen!“
Ich durfte nicht auf seine hypnotische Stimme hören, und musste mich widersetzen. Das Ringen mit dem Tod verläuft mit der Willenskraft.
„Sophie, vertraue mir auch dieses Mal.“
Bittere Tränen liefen meine Wangen herab. Ich war knapp vierundzwanzig Jahre alt, hatte meine erste Wohnung gekauft und mir winkte eine Beförderung. „Nicht“, presste ich mit der größten Mühe hervor.
„Mach es mir nicht so schwer. Lass dich einfach gehen. Deine Zeit läuft ab.“
Ein letzter Stich, schmerzhafter als die vorherigen, beendete meinen Kampf. Ich stürzte in bodenlose Schwärze. Mein Körper brannte, als sei ich in glühende Lava getaucht worden, Bilder von Blut und Folter überfluteten meine Gedanken. Heftiger Schüttelfrost überkam mich, löste das Brennen ab. Ich brüllte mir die Seele aus dem Leib. Mein Sturz endete auf einem überdimensionalen Lichthalo. Mehrere Lichtgestalten, die einzig durch Form und Kontur menschliche Züge aufwiesen, umringten mich. Reglos blieb ich auf dem Boden liegen, keinen Finger konnte ich bewegen.
„Was auch immer du siehst, es ist ein Fiebertraum. Dein Körper wehrt sich gegen den Eindringling in dir.“
„Was ist mit mir?“, fragte ich mental.
„Halte durch.“
Was war mit Leras los? Zugegeben, er war der Engel des Todes. Aber entgegen allem, was man glaubt, war er sehr fürsorglich mit seinen Klienten. Er war kein Feind. Auch dann nicht, wenn man so wie ich damals mit dem Feuer gespielt hatte. Ich hatte trotz meiner vierzehn Jahre gemeint, ich könnte drei Flaschen Wodka vertragen und endete im Koma. Wofür das Ganze? Als ich dem Todesengel den Grund nannte, hätte er mich schelten müssen, doch er blieb gelassen. Genau diese ruhige Art brachte mir mehr ein, als eine Strafe.
„Nun du bist bekannt. Likes kriegst du keine, dafür stehen viele Fragezeichen in den Medien. Sophie, es gibt ein Leben nach der Jugendzeit. Du kannst es nicht erreichen, wenn du danach strebst, es den Leichtsinnigen gleich zu machen, einzig um Beliebtheit zu erfahren.“
Er nahm sich Zeit, mit mir zu reden und vor allem zuzuhören. In jener Nacht war Sophie die Rebellin und Leichtsinnige gestorben, ich kam besonnener und mit Zielen zurück. Eines davon war Studieren, etwas, das mir vor dieser Sauforgie schnuppe gewesen war. Und nun sollte ich sterben? Jetzt, wo mein Leben gerade erst begonnen hatte? Und auch noch derart qualvoll?
Weitere Bilder von Krieg, Tortur und Gewalt überkamen mich, das allerschlimmste aber war, dass ich mich an den Qualen dieser fremden Menschen ergötzte. Euphorisch lachte ich beim Anblick des in Ketten liegenden Mannes, der jämmerlich verbrannte. Ich hörte ein schauriges Lachen, schwarze Schatten tanzten in einer Eishöhle. Ich fühlte keine Kälte, wollte mitfeiern. Was war das für ein Ort? Das waren nicht meine Erinnerungen. Wie aber….?
Und ich begriff schlagartig. Das Fieber der letzten Tage, die Ängste, die verlorenen Stunden, von denen ich nicht wusste, was ich in der Zeit gemacht hatte. Etwas war in mir. Leras bekämpfte nicht mich, sondern einen Dämon. Ich war besessen. Mit Bauchkrämpfen dachte ich an die letzte Weihnachtsfeier zurück. Jemand schlug dieses Spiel vor: „Ist ein Medium unter euch?“ Ich dachte mir nichts dabei, dieses Spiel war genauso bekannt und beliebt wie „Labyrinth“ oder „Angriff des T-Rex“. Das Brennen überkam mich erneut, und eine schwarze Aura umhüllte mich kurz, ehe sie verpuffte. Ich verlor die Besinnung.
Als ich die Augen aufschlug, lag ich in meinem Bett. Ich war nassgeschwitzt, draußen stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Verwirrt fasste ich mich an der Brust. Mir ging es ausgezeichnet. War alles nur Traum gewesen? Ich setzte mich auf und erstarrte. Auf dem Boden waren nasse Fußspuren, die inmitten des Raumes begangen und in Richtung meines Bettes kamen.
(Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)
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