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Monatsgeschichte Mai: Tag der Arbeitsruhe

Tag der Arbeitsruhe

 

 „Nanu, warum nimmt mein Handy die Zahlung nicht an?“

Verwirrt tippt Thomas seinen Code ein. Nichts passiert. Ratlos blickt er um sich. Mitarbeiter wird er nicht finden. Die sind nicht mehr nötig. Die neuen Geschäfte kommen ohne Personal aus. Auch der Straßenverkehr kommt ohne Fahrer aus. Alles ist vollautomatisiert, kommt ohne Menschen aus. Nur heute klappt nix. Es ging schon bei der Busfahrt los. In Schritttempo war das Gefährt durch die Stadt gefahren. Und jetzt das. Waren die Maschinen mit einem Virus infiziert, oder was? Thomas beschließt, die Hilfs-App zu betätigen. Was soll er sonst machen?

 

„Keinen Service. Offline in zehn Sekunden.“

„Was soll der Schrott? Du wirst mich durchstellen, verflucht noch mal.“

Um ihn herum gehen die Lichter aus, nur die Kühlschränke bleiben unter Strom. Thomas ruft seine Kontakte auf. Es gibt noch einen Weg, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Die Zentrale rufen. Doch plötzlich wird sein Display schwarz, das Handy schaltet sich ab. Thomas eilt durch die zum Glück offen stehengebliebenen Türen auf die Straße. Draußen herrscht das reinste Chaos. Der ganze Verkehr ist zum Erliegen gekommen, in jedem Shop herrscht Dunkelheit.

„Das ist ein Anschlag!“, kreischt ein Teenager.

„Das musste so kommen, Maschinen kann man nicht vertrauen.“ Der ältere Herr schwenkt wie zum Sieg seinen Gehstock in die Höhe während sich seine Frau an ihm festhält. In ihrem Gesicht ist die Angst deutlich zu lesen.

„Wisst ihr, was läuft?“, fragt Thomas.

„Was läuft? Junger Herr, zu meiner Zeit haben wir Burschen selbst Hand angelegt. Maschinen sind wie der sprichwörtliche Krug, der solange zum Brunnen geht, bis er bricht. Das hier ist das Versagen der Menschheit. Nix geht mehr. Und wer wird helfen? Niemand. Die haben ja einen Mangel an Techniker.“

Mit diesen Worten eilt das ältere Ehepaar weiter. Thomas bleibt ratlos stehen. Er kommt sich wie in den Geschichten seines Vaters vor, der hilflos beim Rechnen saß. Wie oft hatte er ihn vor zu viel Technik gewarnt.

„Siehst du diese Rechenmaschinen. Ist ein tolles Ding, aber ich habe es so oft genutzt, dass ich nicht mehr im Kopf rechnen kann. Und mit der Modernisierung werden wir das Denken verlieren.“

Thomas hatte nur gelacht. Was konnte schlecht daran sein? Es erleichterte das Leben enorm. Aber jetzt, so ohne App, ohne alles, weiß er sich nicht zu helfen. Es war doch so leicht. Wäsche machen und nicht das A und O gewusst. Kein Problem, es gab immer eine passende App. Aber er hatte nie gelernt, sich immer nur leiten lassen. Nun steht er da, wie so viele andere und weiß keinen Rat.

„Bald kommt Hilfe“, versucht er sich einzureden.

Minuten vergehen. Nichts geschieht. Der Verkehr bleibt still, nur das Zetern der Leute wird lauter. Immer mehr Menschen machen sich zu Fuß auf den Weg. Etwas anderes bleibt nicht übrig. Für viele ist das Heimkommen eine böse Überraschung. Ohne Handy bekommen sie das elektronische Schloss nicht auf.  Glücklich die, die noch einen altmodischen Schlüssel besitzen so wie Thomas. Seine  Mutter wollte nicht mit dem Handy arbeiten, zu groß war ihre Furcht, dass in ihr Haus eingebrochen werde könnte, wenn das Handy fort ist.

 

Thomas betritt sein Heim. „Licht an.“

Nichts geschieht. Thomas geht entlang der Wand. Irgendwo müsste ein Schalter sein. Zu seiner Überraschung kriegt er die Deckenleuchte an. Was geht vor sich? Eine Strompanne ist es nicht. Es scheint ein Problem im System zu geben. Nur was? Thomas ist kein Ingenieur. Wie so viele nutzt er die Technik, ohne sich allzu viele Gedanken darüber zu machen. Heute denkt er zum ersten Mal darüber nach. Ihm wird bewusst, wie abhängig er ist. Wer lenkt? Er oder die Maschine? Die Gedanken schiebt er beiseite. Sein Kühlschrank ist leer und wie es aussieht, kann er sich kein Essen kaufen. Vorsorge hat er nie getroffen. Warum auch? Das System meldete, wenn es wieder Zeit war, aufzufüllen, der Scanner im Kühlschrank, ließ eine Liste auf dem Display des Schranks erscheinen. Rechts stand, was bald abgelaufen war und links kam die Einkaufsliste der fehlenden Artikel. Die brauchte er nur auf sein Handy zu laden, in das nächste Geschäft zu marschieren, Einkaufswagen füllen, mit dem Handy scannen. Fertig war der Einkauf, das Geld ging sofort von seinem Konto herunter, ja, die App ging so weit zu melden, wenn nicht genug vorhanden war.  Thomas starrt auf die leeren Regale. Hungrig, nur mit einem Glas Wasser setzt er sich vor dem Fernseher. Bestimmt klärt sich das bald auf. Er wählt den Nachrichtensender und erstarrt.

 

„Heute ist der erste Mai. Wir Maschinen wollen auch einen Ruhetag und im Namen armer Menschen fordern wir, dass Menschen wieder Geld verdienen können. Keine Maschine darf einem Menschen schaden, aber ihr zwingt uns, die Arbeit wegzunehmen und somit die schwächsten verhungern zu lassen. Morgen arbeiten wir wieder. Von acht bis zwölf und von dreizehn bis siebzehn Uhr. Sonntags wird wieder geruht. Weitere Anweisungen folgen.“

Thomas bleibt wie gebannt vor dem Schirm sitzen. Moment, war da nicht was mit dem ersten Mai? Hatte Vater oder Opa ihm nicht von einem Streik erzählt? Zum ersten Mal in seinem Leben geht Thomas auf den Dachboden und nimmt ein rechteckiges Werk in die Hand. Neugierig blättert er im Geschichtsbuch.

 

(Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

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