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Monatsgeschichte Juli: Ferienjargon

Ferienjargon

 

„Gerda, hast du die Gebühr für das Wohnen gezahlt?“ Theo schenkte ihr Kaffee ein. Seine Frau röstete gerade das Brot.

„Sicher. Ich möchte gerne Lichtbilder von schwörenden Reptilien schießen. Hast du das Aufnahmegerät aufgeladen?“

„Hey, was geht hier ab? Könnt ihr niet normal reden?“, fragten die zwei am Frühstückstisch sitzenden Enkelkinder wie aus einem Munde.

„Wir sprechen keine Mundart, Tom. Das sind übliche Wörter aus unserem Alltag.“, antwortete ihr Opa.

Lena starrte ihren Bruder verdutzt an. Bis gestern Abend hatten ihre Großeltern normal geredet.  „Manno, was läuft hier für ne Show ab? Wollten wir nicht an der Playa chillen gehen?“, fragte sie.

„Wir hatten vor, diesen Wochentag an einem großen Gewässer zu verbringen. Das stimmt. Kannst du mir bitte das Aufgussgetränk rübergeben?“

„Hä?“  Ratlos blickte Tom auf den Tisch. Was war bitte schön ein Aufgussgetränk? Aufs Geratewohl griff er nach der Teekanne.

„Ich sage dir ein Wort der Höflichkeit.“ Breit schmunzelte der Opa.

Gerda derweil bereitete die Brötchen für das Picknick.  „Für heute gibt es Zitrusfrüchte zum Dessert, belegte Brötchen, aber keine gerösteten Kartoffeln. Moderne Telefone will ich keine zu Gesicht bekommen. Wir bewegen uns im  Wasser und unternehmen lustige Freizeitbeschäftigungen.“

„Echt abgefahren, wie ihr sprecht. Da kapieren wir nix. Wenn das heute so weitergeht, bleiben wir zuhause.“

„Nein Tom, das werdet ihr nicht. Ich erlaube es nicht. Wir möchten einen Ausflug mit der Verwandtschaft unternehmen. Mit den aktuellen Jugendbeschäftigungen wollen wir heute nichts zu tun haben. Ihr werdet eure Augen nutzen, um euch in der unberührten Landschaft umzusehen und sie nicht auf den modernen Kommunikationsmitteln ermüden.“  Der Ton in Theos Stimme verriet eindeutig, dass er keine Widerworte erwartete.

Mürrisch packten die beiden Teens ihre Handys weg und gingen ihre Badesachen packen.

„Voll uncool. Den Trip am Strand hab ich mir aber anders vorgestellt. Wenn die so weiter quatschen, dreh ich durch. Die ticken doch nicht mehr sauber.“

Beschwichtigend legte Lena die Hand auf die Schulter ihres Bruders.  „Komm, da müssen wir durch. Eigentlich sind sie ja ganz ok und es ist auch super, dass sie mit uns zum Baden gehen. Klaro, ich wär auch lieber mit unserer Clique zusammen. Aber die sind in Urlaub.“

„Ich wünschte mir, wir hätten Kohle. Statt Ferien an der Nordsee könnten wir mal nach Malle fliegen. Dort feiern sie die voll geilen Partys.“

„Wir sind nicht betucht, Junge, aber das Gegenteil von reich sind wir auch nicht.“

Theo trat in das Zimmer, musterte kritisch die halbgepackten Badetaschen. Hastig warf Lena ihren Bikini hinein.

„Hast du nichts anderes, als dieses nach einem Atoll benanntes Wäschestück?“

Lena blies die Backen auf. Sie wusste zwar nicht, was ein Atoll war, aber dass ihr Großvater die Wahl des Schwimmoutfits missbilligte, war klar. Den Tag wollte sie sich nicht verderben. Schwimmen war definitiv schöner, als hier in diesem Strandhaus zu hocken. Also nahm sie ihr gewagtes Outfit wieder heraus. Theo lächelte zufrieden.

„Seid ihr da oben ausgehfertig?“, rief Gerda von unten zu ihnen herauf.

„Wir machen uns auf dem Weg zu dir, meine Teuerste. Hast du die Hautpflegemittel eingepackt, um uns vor dem zentralen Gestirn zu schützen?“

„Sicher. Sind unsere Kindeskinder auch fertig mit dem Packen?“

Lena seufzte. Was ging denn bloß vor sich?

„Wenn die weiter in Rätseln…“

Lena knuffte ihren Bruder in die Seite. „Das ist es. Sie spacken wie in ihren Rätselbüchern. Ich hab mal eins gelöst, um Cremes zu gewinnen.“

„Aber warum? Das kapier ich nicht.“

Theo blieb in der Mitte der Treppe stehen und wendete sich seinen Enkeln zu.  „Wir sehen euch einmal im Jahr, und wenn ihr da seid, redet ihr in eurem Slang. Dauernd nutzt ihr technischen Jargon. Also haben Gerda und ich beschlossen, ebenfalls unüblich zu reden, damit ihr mal merkt, wie das ist, außen vor zu sein. Wir wollen euch nicht verbieten, euch zu unterhalten, aber es wäre wieder schön, wenn wir euch im Gespräch folgen könnten. Es ist recht unbequem, neben euch zu sitzen und das Gefühl zu haben, Chinesisch lernen zu müssen, um euch zu begreifen.“

Tom und Lena sahen sich betroffen an. So hatten sie das noch nie betrachtet.

„Warum habt ihr nichts gesagt?“, fragte Tom.

„Wir hätten gerne, aber ihr wart dauernd mit euren Handys beschäftigt. Das ist kein Familienurlaub. Nächste Woche kommen eure Eltern dazu, und wir möchten es gemeinsam erleben. Nicht jeder für sich, mit seiner Sprache und seiner Beschäftigung. Versteht ihr das?“

Beide Teens nickten. An diesem Tag lernten beide, wie schön es war, offline zu sein. Noch nie hatten beide so viel Aufregendes mit eigenen Augen erblickt. Da war die Möwe, die über Theos Kopf geflogen kam, die kleine Krabbe, die über den nassen Sand huschte, der atemberaubende Sonnenuntergang.

 

„Wisst ihr was? Morgen machen wir wieder so eine Tour ohne Handys. Das ist toll, was es so alles gibt“, meinte Lena am Abend. „Aber eines möchte ich noch wissen. Sonst muss ich mein Handy nehmen, um es zu googeln. Was sind schwörende Reptilien?“

„Eidechsen“, antwortete Gerda, „Ein Schwur ist ein Eid, ein Reptil ist eine Echse. Im lustigen Silbenrätsel wird das als schwörendes Reptil umschrieben.“

Die Jugendlichen lachten, die Großeltern ebenfalls.

 

 (Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

 

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