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Monatsgeschichte September: Der Taschendieb

Der Taschendieb

 

Eiligen Schrittes ging Max durch das Gewimmel der Schober Messe. Er schubste einen Passanten, der einen grünen Pulli mit brauner Hose trug.  

„Entschuldigung.“ Max lächelte den älteren Herrn an.

Der Mann schüttelte den Kopf. „Du hast es wohl eilig auf die Spiele zu gehen, Junge?“

„Ja. Der Transformer ist das Muss dieses Jahres. Schönen Abend noch.“

Mit diesen Worten ging Max davon und versteckte sich hinter der nächsten Bude. Triumphierend zog er seine Beute aus der Tasche und überprüfte den Inhalt. Das Portemonnaie war mit vier Hundert-Euro-Scheinen bestückt, aber Kreditkarten waren keine drin. Nicht schlecht für den Anfang der zweiten Schober Woche.

„Da wird der Boss zufrieden sein. Mal sehen, was sich noch auftreiben lässt. Aber nach Plan. Nicht, dass ich noch erkannt werde“, sagte er sich.

Den Geldbeutel warf er in die nächste Mülltonne und machte sich auf die Suche nach dem nächsten Opfer. Diesmal wollte er sich eisern an seine selbst aufgestellte Regel halten. Anrempeln, stehlen und ab durch das Menschengewimmel.

 

Mit Adlerblick scannte er die Menge. Vorne bei Jean la Gauffre stand ein alter Mann, der genüsslich ein Eis schleckte. Max schlenderte gemütlich dorthin, stieß ihn an, um vor Schreck zu erstarren. Wie war das möglich? Hatte sich der Herr umgezogen, oder wie? Vorhin hatte er keinen blau gestreiften Anzug getragen, sondern Pulli und Hose.

„Entschuldigung.“ Max lächelte den älteren Herrn an.

Der Mann schüttelte den Kopf. „Du hast es wohl eilig auf die Spiele zu gehen, Junge?“

„Ja. Der Transformer ist das Muss dieses Jahres. Schönen Abend noch“, hörte Max sich antworten.

Was war bloß los mit ihm? Warum hielt er sich nicht an seine eigenen Vorschriften? Er rannte davon und nahm den Geldbeutel heraus.

„Das gibt es nicht.“

Fassungslos drehte er das Portemonnaie nach allen Seiten. Es war das gleiche wie vorhin. Besonders an das darauf bestickte Pferdebild konnte sich Max erinnern. Mit klammen Fingern öffnete er es.

„Dreihundert Euro? Wer ist dieser Typ?“

Er schaute die Karten durch, aber alles was er fand, waren Kundenkarten. Einen Führerschein oder einen Ausweis konnte er genauso wenig finden wie Kreditkarten. Für einen Augenblick erwog Max aufzugeben. Aber das Geld in der Hand war so verlockend. Außerdem würde der Chef ihm tüchtig den Kopf waschen, wenn er weniger als tausend Mäuse brachte. Vielleicht hatte der Mann ganz einfach einen Bruder. Ja, das musste es sein. Max durfte sich nicht so leicht einschüchtern lassen. Er nahm tief Luft und ging auf Beutezug.

 

„Entschuldigung.“ Max lächelte den Mann in weißem Anzug an.

Der ältere Herr schüttelte den Kopf. „Du hast es wohl eilig auf die Spiele zu gehen, Junge?“

Max wollte fliehen, aber er war wie angewurzelt. Was ging hier vor sich? Es war wieder dieser ältere Mann.

„Ja. Der Transformer…“  Mit aller Mühe versuchte Max, den Satz nicht aufzusagen. Das Lächeln des Mannes wurde breiter. Max Herz begann wie verrückt zu hämmern. Mit zittrigen Händen reichte er ihm den Geldbeutel.

„Ich…ich… habe es geklaut.“

„Ich weiß. Das war das dritte Mal. Junge, du musst dich ändern. Ehe er dich findet.“

„Wer ist er?“

„Der, dem jeder irgendwann entgegentritt. In deiner Szene wirst du ihn früher treffen als erhofft.“

Ohne den Beutel an sich zu nehmen, verschwand der Herr in die Menge. Max schwitzte und zitterte am ganzen Körper. Wer war dieser er? Mit einem dicken Kloß im Hals ging Max zum ersten Security Mann, den er traf und stellte sich.

 

„Wer war dieser Mann?“, fragte der Polizist.

„Keine Ahnung.“ Max legte den ominösen Geldbeutel auf den Tisch.

Der Polizist erstarrte, sein Gesicht wurde kreidebleich. „Das ist nicht möglich. Der gehörte meinem Opa. Er wurde vor fünf Jahren von einem jungen Mann mit einem Drachen Tattoo im Nacken auf der Schober erstochen. Für vier Euro wurde er getötet. Dieser Mann wurde nie gefasst, der einzige Zeuge konnte nur die Tätowierung beschreiben.“

Max Herz rutschte in die Hose. Es fiel ihm schwer zu begreifen, dass er einem Geist begegnet war und vor allem, in was er hineingeraten war.

Du wirst ihn früher treffen als erhofft. Wie ein böses Echo hallten die Worte des alten Mannes in Max Kopf. Er, das war der Tod.

„Ich weiß, wer der Täter ist. Es ist mein Chef. Ich kann ihnen die Adresse geben.“

 

(Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

 

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