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Oktober - Odyssee: Odyssee eines Schreibhelden

Odyssee eines Schreibhelden

 

„Wie bitte? Moment, wie geht denn das?“ Ungläubig starre ich den freundlich lächelnden Angestellten an, der hinter dem Check-in-Tresen sitzt. Ich muss mich verhört haben. „Aber ich habe über eine Agentur gebucht, und hier steht eine Sitznummer.“ Ich tippe mit dem Finger auf mein Flugdokument. Der Angestellte klimpert rasch auf seiner Tastatur.

„Ja, schon, aber nur für den Flug nach Schiphol. Von Amsterdam nach Hannover stehen Sie auf Standby. Es ist egal, wie Sie buchen, denn Fluggesellschaften verkaufen immer mehr Tickets als Sitze vorhanden sind. Ich schau mal, ob es einen späteren Flug nach Hannover gibt.“

Ich schließe die Augen. Die Freunde, die ich endlich mal im realen Leben treffen wollte, rücken mit einem Mal wieder in die Ferne.

„Ich habe einen gefunden. 19h00. Das einzige, dass ich Ihnen noch raten kann, ist, dass Sie sobald Sie in Schiphol sind, sich unverzüglich zur Abflugpforte ihres geplanten Fluges begeben. Dort melden Sie sich, und sollte jemand zu spät oder gar nicht erscheinen, bekommen Sie dessen Platz.“

19h00. Um acht wollte ich mit den Freunden essen gehen. Das ist jetzt mit einem Mal unmöglich. Außer, es springt einer ab. Na super.

 

Einmal durch die Sicherheitskontrollen, mache ich meinem Unmut Luft. Erst rufe ich bei der Reiseagentur an. Wie gut, dass es Notfallnummern gibt. Denke ich. Aber die Dame kann mir nichts anderes raten, als das, was mir der Angestellte vorhin erklärt hat. Ich benachrichtige meine Schwester, und simse Pema an.

„Keine Sorge, egal wann du landest, ich komme dich abholen.“, antwortet er.

„Danke.“

Der Arme. Meinetwegen wird er sein Essen unterbrechen müssen. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu heulen. Diese Selbstlosigkeit bin ich nicht gewöhnt. Ich schicke Anathea eine mit Teufelssmiley bespickte SMS. Heute hätte ich sie zum ersten Mal in Echt erlebt. Außer, das Essen dauert, und ich komme noch so gerade gegen 10h00 ins Hotel, werde ich sie treffen. Aber allmählich verschiebe ich das Ereignis auf morgen. Wer wird, außer Pema, noch wach sein, wenn ich lande? Verfluchtes Overbooking. Mein Telefon piepst.

Anatheas Antwort entspricht so ziemlich meinem Befinden. Fassungslosigkeit und Ärgernis. Drei fette, pinke Teufelsfratzen unterstreichen die Nachricht.

„Wenn dir ein Stück Holz begegnet, fasse es an, damit einer abspringt.“ Ich verschicke ihr die Nachricht und setze mich traurig in den Warteraum. Wenn ich nur Holz hätte… Augenblick. Ich krame in meine Handtasche. Tief unten liegt der Hausschlüssel, und an ihm ist Mutters Marienkäfer angehängt. Fest drücke ich die kleine Holzschnitzerei in meinen Händen. Niemand schaut mich an. Es ist mir auch egal, ob es lächerlich aussieht. In dem Augenblick ist mir das eine kleine Hoffnung. Als der Aufruf nach Amsterdam erfolgt, bin ich etwas zuversichtlicher. So komisch es ist. Das Flugzeug ist klein, und der Snack in Form von Miniaturbretzeln sowie die 86 ml kleinen Wasserschälchen bringen mich sogar zum Schmunzeln. Ich stecke das Papier ein. Das könnte eine Story werden. Besser ich erfinde Geschichten, als an das Bevorstehende zu denken.

 

Aber als das Flugzeug landet, bin ich rasch wieder in der bitteren Wirklichkeit. Mit solarbetriebenen Bussen werden die Passagiere zum Flughafengebäude gefahren. Erschrocken starre ich auf die riesigen Baustellen, die das Gelände umsäumen. Als das Hauptgebäude in Sicht kommt, klappt mir die Kinnlade herunter.

„Meine Güte. Das wird eine Odyssee!“, murmele ich vor mich hin, „Der Findel ist eine Miniaturausgabe dagegen.“

Kaum hält der Bus an, hechte ich nach draußen und renne zu den Anzeigetafeln. Gut, dass ich des Englischen mächtig bin. Ich lese die Abflüge durch. Hannover 17h00 und Überraschung Terminal B36, von 40 Terminals. Yuhuuu. Fast der Letzte in diesem riesigen Gebäude. Da gibt es nur eins. Laufen. Trotz denkbar ungeeigneter Schuhe. So schnell es geht, haste ich die Rolltreppen hoch, die Flüche, der sich fahrenlassenden Gäste sind mir wurscht. Rechts, links, stehen oben verführerische Schokogeschäfte. Natürlich hätte ich Lust auf etwas Süßes. Aber dafür ist keine Zeit. Ich schaue mich um, und hole tief Luft, als ich den superlangen Gang erblicke.

„Na dann mal los.“

Ich renne. Meine Füße schmerzen, die Schuhe drücken. Unten angekommen stelle ich mich an. Ich muss warten, bis die Reisenden weg sind. Erst wenn Hannover bearbeitet wird, darf ich zum Tresen.

„Do you speak english?“

Ich nicke. Der in feinem Anzug gekleidete Mann bietet mir Tickets für ein Spiel im Hannover an. Ich muss nur die Fluggesellschaft bewerten. Aha. Na, du kommst mir gerade richtig. Sofort bringe ich mein Anliegen vor. Er sieht mich an und deutet mir, mich bei den Stühlen neben dem Tresen zu stellen.

„As soon Boarding is completed, they will care for you. »

Ich atme auf. Außer mir steht niemand in der Warteschleife. 

Als der letzte Passagier fort ist, und sich die Anzeige auf Hannover verändert, winkt mich die Bodenstewardess zu sich.

Ich zeige ihr meine Borddokumente. Noch ehe ich irgendwie etwas erklären kann, fragt sie nach meinem Ausweis. Ich hole ihn hervor. Sie tippt.

„Why didn ´t they give you a second card for this fly? »

Wieso versteht die nicht, warum ich keine zweite Karte habe? Sollte…Ich wage es kaum zu hoffen, dass einfach ein Fehler vorliegt.

« Overbooked. »

« No. »  Sie tippt weiter. Unter ihrem Tresen höre ich das Rattern des Druckers. Lächelnd drückt sie mir eine neue Bordkarte in die Hand.  „Seat 10C. Enjoy the Flight.“

Am liebsten hätte ich sie umarmt. Ich bin auf dem geplanten Flug. Sofort rufe ich Pema an.

„Na, dann komm ich mit meinem Schild. Guten Flug. Bis später.“

„Bis später.“

 Ich lächle.  Wo war der Fehler? Ist egal. Der Marienkäfer hat was genützt. Freunde, ich komme.

 

(Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Tresina (Samstag, 26 Oktober 2019 09:07)

    Liebe Lucy,
    Wie spannend. Ich war dabei! �
    Overbooked! Das habe ich auch mal vor Jahren erlebt. Silvester mit Freunden im Eimer? Nein! Als Brancheninterne durfte ich letztendlich im Cockpit mitfliegen. � Ich traute mich kaum zu atmen, auf dem Sitz hinter dem Kapitän. Heute wäre das undenkbar... �
    Liebe Grüße
    Tresina