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Monatsgeschichte Oktober: Ein besonderer Gast

Ein besonderer Gast

 

Lächelnd stellte Else eine Kerze in den porzellanenen Kürbis, der vor ihrer Haustür stand. Schon lange konnte sie keinen echten mehr aushöhlen, dafür fehlte ihr die Kraft. Vorfreudig auf den kommenden Besuch summte sie und überprüfte, ob die Schüsseln auch genug Süßes enthielten. Außer auf Halloween freute sich die Dame auch noch auf den Lichtmesstag. Das waren die zwei Abende, an denen sie nicht einsam und verlassen in ihrem Bett saß und las, sondern freudig zwischen Küche und Flur wanderte, um dafür zu sorgen, dass es genug zu verschenken gab.

 Als sie sich umwandte, um die Haustür zu schließen, stieg ein junger, dunkelhaariger Mann gerade die drei hölzernen Stufen hoch. Verwundert sah Else ihn an. Außer Kindern hatte sie keinen Besuch erwartet. Die einzigen Menschen, die in ihr Haus kamen, waren der Postbote, gelegentlich Handwerker und der Lieferant ihrer Mahlzeiten.

„Guten Abend, Frau Herz. Darf ich eintreten?“

Eigentlich wollte Else dieser Bitte nicht nachkommen. Er war ihr fremd, und er hatte sich ihr auch nicht vorgestellt. Aber als ob sie ferngesteuert wäre, trat sie zur Seite. Der Fremde schaute sich in der Gegend um, winkte noch dem neugierigen Nachbarn, der über die Hecke spähte und trat ein.

„Else, was machst du?“, murmelte die Frau vor sich hin, „Du musst ihn rauswerfen.“ Ihr Verstand schrie förmlich Gefahr, aber ihr Herz flüsterte, sie solle vertrauen.

„Ich bereite uns einen Tee.“ Der Fremde geleitete die Dame in ihre Stube.

Else ließ ihn gewähren. Zum Protestieren war sie zu schwach. Bald hörte sie das Klappern des Geschirrs in ihrer Küche. Was wollte er von ihr? Hatte er etwa vor, sie zu betäuben? Das war die Methode des Täters in dem Krimi, „Das Grauen kommt punkt vier“, den sie gerade las. Sie brauchte Hilfe. Warum nur hatte sie ihn reingelassen? Else griff nach ihrem antiken Telefon. Ihre Wohnung war eines Museums würdig, Modernes war hier wenig zu finden. Sie tippte die 112, als der unheimliche Besucher die Stube betrat.

„Der Stecker ist lose. Da werden Sie niemanden erreichen. Ich habe Ihnen einen Zuckerwürfel in den Tee hineingetan und eine Madeleine dabei gelegt.“

Else starrte ihn an. Er lächelte und setzte sich auf einen Schemel vor ihr.

„Wer sind Sie?“

„Sie wissen Bescheid. Deshalb haben Sie mich hereingelassen.“

„Ich habe niemanden, außer den Kindern, erwartet.“

Er stellte seine mit grünen Teeblättern verzierte Tasse ab und griff nach der auf dem Beistelltisch liegenden Spielbank. "Wollen wir Mensch ärgere dich nicht spielen?“

Else schloss die Augen. Fern vernahm sie das Läuten an ihrer Haustür. Das interessierte sie nicht. „Sie sind gekommen, um mich zu Albert zu bringen? Warum nicht gleich? Ich bin bereit. Mein Mann...ich werde ihn endlich wiedersehen.“

„Nein. Ich bin gekommen, um Sie zurückzubringen.“

In dem Augenblick begann Elses Welt sich zu drehen, das letzte, dass sie bewusst hörte, war wie jemand heftig an der Haustür klopfte.

 

Weiße Plattendecken waren das erste, was die alte Dame wahrnahm. Sie drehte sich auf die Seite und staunte über die Anwesenheit ihres Nachbarn. „Wo bin ich?“

„Im Krankenhaus. Mensch Else. Du hattest einen kleinen Schlaganfall.“

„Wieso warst du….“

„Mein Enkel Timmo kam zu mir, weil du nicht geöffnet hast. Ich weiß, dass du hinter der Tür mit den Bonbons wartest. Aber ich habe gesehen, wie ein Fremder mit dir reingegangen ist und dein Kürbis brannte vor der Haustür. Du musstest da sein. Ich habe geklopft. Als du nicht geantwortet hast, habe ich den Notruf gewählt. Sag mal, fühlst du dich nicht alleine in diesem großen Haus? Also mir ergeht es so, seit Frieda nicht mehr da ist. Die einzige Freude, die ich hab, ist mein Enkel.“

„Oh Danke, Edmond. Komm doch zu einem, Kaffee rüber. Von Tee mit Verstorbenen habe ich genug. Weißt du, ich spielte mit Albert, trank mit ihm Tee.“

„Ich habe es gesehen, und da habe ich verstanden, dass wir zwei einsame Witwer doch besser zusammen sind.“

Elsa drückte seine Hand. Ab heute würde sie den Rest ihrer Tage leben, nicht in der Vergangenheit mit Geistern verbringen.

 

 (Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

 

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