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Türchen 04 "Schlittschuhe"


Perspektiven

Es waren einmal drei Jungen, die an einem frostigen Wintertag ein Paar goldene Schlittschuhe am Ufer des großen Sees fanden.
„Sie gehören mir“, sagte Bosse, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen. Er zog sie an und betrat den gefrorenen See. Kaum hatte er das Eis betreten, da sausten die Kufen mit ihm auf und davon. Seine Freunde hörten ihn schimpfen, toben und fluchen, aber er wurde immer weiter hinaus auf den See entführt, bis sie ihn nicht mehr hören konnten.
„Was war es?“, fragten sie, als er endlich zurückkam.
„Kampf“, lautete seine Antwort.

Am nächsten Tag lagen die Schlittschuhe erneut am Seeufer, und Ole fasste sich ein Herz. Kaum hatte er die glänzenden Schuhe angezogen, flitzen diese mit ihm quer über den See. Sein Jammern und Flehen war weithin zu hören, bis er schließlich völlig erschöpft ans Ufer zurückkehrte.
„Was war es?“, wurde er gefragt.
„Angst“, gab er zur Antwort.

Am dritten Tag befahl Bosse: „Heute bist du dran, wenn du zu uns gehören willst“, und Ole nickte dazu. Es war nur fair, dass Anders ihre unschöne Erfahrung teilte. Dieser zögerte kurz, schlüpfte dann aber in die Schlittschuhe und betrat das Eis. Sofort wurde er in wilder Fahrt weit hinaus auf die Eisfläche entführt. Die Freunde allerdings trauten ihren Ohren kaum, denn Anders juchzte und lachte. „Das ist wie Fliegen“, rief er und wollte gar nicht mehr aufhören.
Die anderen wunderten sich „Was war es bei dir?“
„Freiheit“, sagte er und lief los, um weitere Runden zu drehen.

 

 © 2020 Anathea Westen (Lipperland)

 

 


Wahre Schönheit

In hohem Bogen flogen Maras Schlittschuhe in die Tiefe der Schlucht. Was hatte sie sich dabei gedacht, als sie sich auf die Eisfläche wagte? Sie hätte es wissen müssen, dass sie dort genauso wenig geduldet werden würde als sonst wo. Als Grund gab es nur den einen. Ihr Gewicht. Zumindest befanden ihre Mitschülerinnen sie für zu dick.

„Hey Mara. Wunderschöner Platz hier.“
Mara wirbelte herum. Ihr blieb die Luft weg beim Anblick von Tim Herz, dem schönsten Jungen der Schule. Jede Schülerin hätte alles gegeben, um einen Moment alleine mit ihm zu sein. Was sollte sie bloß sagen? Die anderen Mädchen hätten bestimmt einen flotten Spruch gewusst. Sie nicht.
Verlegen starrte sie auf ihre Füße. Ruhig Blut. Er hatte den Platz schön gefunden, nicht sie. „Das stimmt.“
Manno, eine dümmere Antwort hätte sie nicht finden können.
„Ich bin extra wegen dir gekommen. In der Schule ist es unmöglich, alleine zu sein. Wenn alle Mädchen aufhören könnten, an mir zu kleben, wäre ich glücklicher. Ich will keine von denen, sondern dich. Wenn ich dich sehe, freue ich mich. Ich möchte mit dir Schlittschuhe laufen, den Tanzwettbewerb auf der Eis Piste mitmachen und dein Freund sein.“
„Ich? Aber ich bin...“, sie sah traurig an sich herab.
„Wunderschön. Ich habe lieber ein nettes Mädchen zum Freund als ein schönes, das dauernd die anderen runterputzt.“
„Die anderen werden mich vor Neid fertigmachen.“
„Dann wehren wir uns. Für den Anfang tanzen wir und besorgen dir neue Schlittschuhe.“
Liebevoll drückte er Maras Hand. Sie lächelte.

 

© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)

 

 


Auf Eis gelegt

 

Endlich liegen die lang ersehnten Schlittschuhe unter dem Weihnachtsbaum und nun das: warmes Wetter! Seit Tagen verfolgt Elli die Wettervorhersagen, aber auch die weiteren Aussichten versprechen keinen Winter. Der Klimawandel lässt grüßen! Die Familie wohnt ländlich und die Eislaufhallen in den Städten haben für Publikum geschlossen.
Ihre Mutter vertröstet sie mit den Worten „aufgeschoben, sei nicht aufgehoben“.
Frustriert macht sich Elli auf Facebook Luft. Es kommen Emoticons, die Mitgefühl bekunden, auch der ein oder andere gut gemeinte Kommentar ist darunter.

 

Bockig sitzt sie in ihrem Zimmer und zieht eine Schnute.
Das „Ping“ verkündet eine neue Nachricht auf Social Media. Gelangweilt schaut Elli auf das Display. Ein Lächeln zeigt sich auf ihrem Gesicht, das gleich freundlicher aussieht. Ihre alte Freundin, die vor ein paar Jahren weggezogen ist, lädt sie für den Rest der Weihnachtsferien nach Hamburg ein.
Aber das Beste ist, dass es dort die Eisarena gibt. Sie befindet sich im Freien und ist mit einer Fläche von 4300 Quadratmetern eine der größten Eislaufbahnen Europas.
„Das sind doch mal gute Nachrichten!“ Jetzt würde sie trotz allem ihre nagelneuen Schlittschuhe ausprobieren können. Elli rennt zu ihrer Mutter, um ihr von der Einladung zu erzählen.

Dieses Jahr ist alles kompliziert, selbst eine Reise nach Hamburg. Die Pandemie hat die Welt fest im Griff. Aber schließlich ist es geschafft. Elli sitzt im Zug, eine Maske im Gesicht, den negativen Corona Test in der Tasche.
Nur die Schlittschuhe liegen zu Hause im Flur, wo sie sie neben ihrer Reisetasche abgestellt hatte.

 

© 2020 Flora MC (Alsace)

 


Die Schlittschuhe

„Tschüss, bis nachher!“, ruft Lisa ihrer Mutter zu und schließt die Autotür. Sie wirft sich die Schlittschuhe über die Schulter und schlendert in die Eishalle. Beim Eingang sieht sie Anna und Bianka stehen. „Hi, lasst uns reingehen. Ich kann es gar nicht mehr erwarten.“
Lisa läuft zu Positions von Ariana Grande ein paar Runden auf der Eisfläche. Sie fährt zu ihren Freundinnen, sie nehmen sich an der Hand, tanzen am Eis, lassen los und drehen Pirouetten. Lisa verkeilt sich mit den Schlittschuhen und stürzt. Sie versucht sich mit den Händen abzustützen und aufzustehen, fällt aber wieder hin. Bianka kommt auf sie zu. „Komm wir helfen dir“ und stützt sie gemeinsam mit Anna, sodass Lisa wieder auf die Beine kommt. „Mein Knie, ich kann es kaum bewegen, es sticht“. Lisa stützt sich bei den beiden ab und sie rollen mit ihr zum Ausgang der Eisfläche.
„Komm, wir bringen dich zu den Sanitätern, die sollen sich das ansehen“, meint Anna. Lisa, abgestützt von ihren Freundinnen, hüpft mit einem Bein hinter die Eisbahn, wo in der Nische die Sanitäter sind.
„Was ist dir den passiert? Setz dich doch mal.“ Der Sanitäter hilft ihr auf den Stuhl.
„Ich war bei der Pirouette zu schnell dran. Das Knie sticht ohne Ende.“ Er sieht sich das Knie an. Lisa schätzt ihm etwas älter als sich selbst ein und lächelt ihn an.
„Fahrt ihr beide nur weiter. Ich komme hier zurecht,“ Sie sieht zu ihren Freundinnen und gibt ihnen einen Wink, dass sie gehen sollen.

 

© 2020 Sandra Novak (Wien)

 


Schlittschuh-Schönheit

Sandra saß auf dem Boden, inmitten von Kleidern, Röcken und Blusen. Ihre Wimperntusche war verschmiert, der Zopf hatte sich gelöst.
„Hey.“ Bernd kniete sich vor sie und reichte ihr ein Taschentuch. „Was ist los, Schnuffi?“
Sie putzte sich geräuschvoll die Nase und deutete auf das Chaos. „Das ist los.“
Er runzelte die Stirn und nahm eins der Kleidungsstücke hoch. „Ist das nicht eine deiner Lieblingsblusen?“
Sandra riss sie ihm aus der Hand und pfefferte sie quer durch den Raum. „Nicht mehr.“

„O-kay?“ Er setzte sich neben sie. „Und warum?“
„Darum.“ Neue Tränen kullerten über ihre Wangen.
„Was ist damit?“ Er hielt das rote Kleid hoch, das er ihr im letzten Sommer geschenkt hatte.
„Auch nicht.“ Sie schluchzte. „Ich mag nichts mehr davon.“
Langsam dämmerte ihm, was das Problem war. „Die Sachen passen nicht mehr?“
Sie schluchzte wieder. „Blöde Corona-Kilos. Was soll ich denn jetzt Weihnachten anziehen?“
„Bin gleich wieder da.“
„Wohin willst du?“
Er lief in den Keller, fand was er suchte und kehrte ins Schlafzimmer zurück. „Ta-Da.“

„Schlittschuhe?“
„Die passen auf jeden Fall noch.“
„Das ist nicht lustig.“
„Schnuffi.“ Bernd wischte eine Träne von ihren Wangen. „Du bist wunderschön, auch mit Corona-Kilos. Bald passt du sicher wieder in deine Lieblingssachen. Aber solange konzentrier dich auf das, was glücklich macht.“ Er gab ihr die Schlittschuhe. „Zum Beispiel auf einen romantischen Winternachmittag mit mir am Weiher.“
Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Klingt perfekt.“
„Na dann“, er reichte ihr eine Hand und zog sie hoch, „auf geht’s, meine Schlittschuh-Schönheit.“

 

© 2020 Katja Kobusch (Hamburg)

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Konstanze Fleck (Freitag, 04 Dezember 2020 08:34)

    Hallo ihr fleißigen Schreiberlinge,

    eine Geschichte herzzerreißender als die andere.

    Vielen Dank für das schöne Geschenk.
    GLG
    Konstanze