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Türchen 07 "Kerzenlicht"


Candle light dinner for one

Sabrina lässt die Wohnungstür ins Schloss fallen: „Hi, ich bin wieder da! Was war das für ein Tag. Thomas?“ Sie schlüpft aus den Schuhen und geht in die Küche.
Auf der Kücheninsel ist ein Zettel am Adventskranz gelegt. „Bin mit Klaus und Peter noch etwas Essen. Wird später. Mache dir auch einen schönen Abend. Thomas.“
Na super, ihr geht es schlecht und er ist wieder einmal mit seinen Freunden unterwegs. So hat sie sich den Abend nicht vorgestellt, nach der Diskussion mit ihrem Chef. Sie wollte mit Thomas gemeinsam kochen und es sich gemütlich auf der Couch machen.

 

„Mache dir auch einen schönen Abend“ schrie sie in den leeren Raum hinein und pfefferte den Zettel in den Müll. Warum eigentlich nicht? Eingekauft hat sie heute Abend alles für ihr gemeinsames Lieblingsessen Spaghetti mit Pesto. Sie wäscht den Basilikum, gibt Knoblauch, Meersalz, Parmesan und Olivenöl dazu und vermixt das zum Pesto. Der Geruch von frischen Basilikum und Knoblauch steigt ihr in die Nase.
Während die Nudeln kochen, zündet sie die erste Kerze am Adventskranz und den beiden weihnachtlichen Kugelkerzen am Esstisch an, deckt den Tisch und wählt eine weihnachtliche Playlist am Handy aus. Das Licht der Kerzen und die Musik erfüllen den Raum.
Die Nudeln sind fertig, sie gießt diese ab, mischt das Pesto unter und nimmt sich einen Teller davon. Sabrina setzt sich damit zum Tisch. Sie rollt die Nudeln auf ihre Gabel und genießt das Essen. Ein wohliges Gefühl steigt in ihr auf.

 

© 2020 Sandra Novak (Wien)

 

 


Last Christmas

Jürgen zündete eine Kerze am Tannenbaum an und beobachtete das sanfte Flackern ihrer Flamme. Kerzen gehörten so selbstverständlich zur Weihnachtszeit wie Lebkuchen und Adventskalender. Aber er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wofür sie standen.
Kürzlich hatte er es auf Wikipedia nachgelesen. Eine der Bedeutungen lautete: „Jesus Christus, der als Licht in die Welt kam und die Dunkelheit erhellt.“
Kein Wunder, dass Kerzenlicht an Weihnachten so wichtig war – nicht nur für Christen. Der weiche, tanzende Schein erhellte nicht nur symbolisch die Dunkelheit, sondern verbreitete in den trüben Wintermonaten tatsächlich Wärme und Geborgenheit. So wie hier im Wohnzimmer, wo die Bescherung der Kinder und Enkelkinder bevorstand.

Jürgen zündete eine weitere Kerze an. Seine Hand zitterte leicht. „Brennende Kerzen symbolisieren die Seele, die im dunklen Reich des Todes leuchtet.“
War das Reich des Todes wirklich dunkel?
Er würde es bald herausfinden - laut Ärzten in drei bis sechs Monaten. Sein Atem stockte, wie immer, wenn er diese Wahrheit zu begreifen versuchte. Nächstes Jahr würde jemand anderes die Christbaumkerzen anzünden, weil er nicht mehr da war.
„Altarkerzen symbolisieren die Auferstehung, das heißt Jesu Triumph über den Tod“, schrieb Wikipedia. Aber er würde nicht über den Tod triumphieren.

„Jürgen?“ Anita berührte sanft seinen Arm. „Die Kinder warten.“
Er schob die Gedanken an nächstes Jahr zur Seite. Dieses Jahr war er hier bei ihnen und würde jede Sekunde auskosten.
„Lass die Rasselbande rein“, sagte er lächelnd.

Die Flammen hüpften wild, als die Enkel hereinstürmten. Ihr heiteres Lachen erhellte die Dunkelheit in seinem Herzen.

 

 © 2020 Katja Kobusch (Hamburg)

 


Zwischen den Zeiten

„Mist“, fluchte Kassandra, als sie sich durch Dunkelheit und Schneefall kämpfte. Erneut überprüfte sie das Handy-Signal, ob sie auf der richtigen Spur war. „Ich drehe dir den Hals um, Queenie.“
Ein leises „Wuff“ lockte sie in die Ruine eines verfallenen Hauses, wo sie abrupt stehenblieb. Warmes Kerzenlicht verlieh dem Inneren eine unerwartete Behaglichkeit, doch Kassandra sah nur diesen Typen, der ihren Hund auf dem Arm hielt und sie anlächelte.
„Da bist du ja. Wir haben schon gewartet.“
„Kennen wir uns?“, fragte sie misstrauisch, verwundert über Queenie, die sich sonst nie von Fremden anfassen ließ.
„Nicht persönlich. Willst du nicht näher kommen?“ Er machte eine einladende Geste, doch sie schüttelte den Kopf.
„Lassen Sie meinen Hund los!“
Er zwinkerte ihr zu. „Du musst ihn schon holen kommen.“
Na warte, dachte sie, umfasste das Abwehrspray in ihrer Manteltasche fester und trat auf ihn zu. Als er Queenie absetzte, hielt sie es ihm warnend vors Gesicht.
„Hat es irgendeine Bewandtnis damit?“
„Damit mache ich dich fertig, wenn du auf dumme Gedanken kommen solltest.“
„Mit einem Stückchen Holz?“
Verblüfft starrte sie auf das Holzstück, kramte nach ihrem Handy, fand aber nur ein Holzbrettchen. „Was ist hier los?“
„Du hast die Linie zwischen den Zeiten überschritten. Wir haben schon oft versucht, dich herüberzuholen. Es ist stets fehlgeschlagen, bis wir die Hoffnung fast aufgegeben hatten.“
Sie drehte sich um, doch der Gang war verschwunden, der Raum völlig verändert.
„Wo bin ich hier?“
Er wurde ernst. „In einer Welt, die nur du retten kannst.“

 

© 2020 Anathea Westen (Lipperland)

 


Hoffnungslicht

Alleine sitze ich vor dem Adventskranz. Die vier Kerzen sind intakt, dabei zeigt das Kalenderblatt den vierten Advent an. Aber ich kann die Wachslichter nicht anzünden. Ich will nicht sehen, wie der Frieden, der Glaube, die Liebe und die Hoffnung kleiner werden. Es genügt mir, dass in meinem Leben mir all dies auf die schändlichste Art genommen wird. Jeden Tag ein Stück mehr. Frieden kenne ich auf der Arbeit nicht mehr, Mobbing hat es in ein Schlachtfeld verwandelt. Der Glaube an mich selbst ist zerstört. Ständiges Lästern hat es torpediert. Liebe ist mir fremd geworden, denn jeder ist sich selbst der Nächste. Die, die nicht mitmachen, billigen die Tat durchs Nichtstun. Hoffnung, etwas Besseres zu bekommen, habe ich nicht, es ist heutzutage, schwer einen Job zu finden. Was soll ich machen? Mich beschweren? Sehr schwer, wenn der Chef selbst der Urheber der Misere ist.

Müde sammle ich das aufgestapelte Altpapier der alle achtlos eingesammelten Werbungen, die in meinem Briefkasten wanderten. Zum Dekorieren oder Feiern habe ich keine Lust. Die Feiertage werde ich nutzen, um liegende Arbeiten zu erledigen. Falls ich mich dazu aufraffen kann. In letzter Zeit fehlt mir die Kraft. Plötzlich rutscht mir ein Flyer vom Stapel, landet punktgenau auf den Kranz. Mir sticht die darauf abgebildete Kerze ins Auge. Im gezeichneten Kerzenlicht steht „Stopp Mobbing“. Soll es tatsächlich Hilfe geben? Muss ich mich nicht schämen Opfer zu sein? Ich lasse den Stapel fallen, ergreife den Flyer. Rasch lese ich die Zeilen und wähle die Nummer. Endlich Hilfe.

 

© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)

 


Die Blindverkostung

Im Dunkeln ist gut munkeln, so sagt man.
Die Jungen sitzen auf Kisten im Keller.
Das Licht der Kerze macht wenig ihn heller,
es war alles gut, als der Abend begann.

Sie scherzen und lachen, sie spielen wie Kinder,
fünf Flaschen Wein unter Hauben, in ihrer Mitte.
Wer errät die Sorte? Falsch! Der nächste bitte.
Erneut wird probiert, doch man kommt nicht dahinter.

Wieder beginnt die Runde von vorn,
probieren, raten, falsch oder richtig?
Gewonnen, verloren ist bald nicht mehr wichtig,
Die Kerze, sie flackert vor Zorn.

Gegröle, Gelächter, eine neue Flasche.
Probieren war anfangs, jetzt wird getrunken,
Witze gerissen, im Rausche versunken,
Die Zeit vergessen, die Uhr in der Tasche.

Die Kerze hat Mühe, die Flamme im Kampf,
vergessen ist das Kerzenlicht,
die Jungen, sie beachten es nicht.
Plötzlich stockdunkel, nur noch wächserner Dampf.

Im Nu ernüchtert, springen sie auf,
sie schwanken und stolpern die Treppe hinauf.
Die eisige Nachtluft in die Lungen sticht.
Herzlichen Dank, liebes Kerzenlicht!

 © 2020 Flora MC (Alsace)

 


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