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Türchen 17 "Zuckerstange"


Weihnachtsfeier

Im Aufenthaltsraum im Pensionistenheim rücken die Mitarbeiter die Tische zurecht.
„Sie können schon hereinkommen“, sagt der Pfleger zu den Pensionisten, die beim Türeingang warten. „Setzen sie sich schon einmal zu den Tischen. Die Kinder kommen gleich.“
„Danke.“ Frau Friedinger nähert sich mit ihrem Rollator in kleinen Schritten dem Tisch. „Ich freue mich auf die Kinder. Das ist so schön, wenn sie uns besuchen kommen. Dann ist hier richtig etwas los. Sonst ist es häufig so still hier.“
„Sie kommen“ schreit Herr Bauer, der neben der Eingangstür sitzt. „Ich kann sie schon hören.“


In diesem Moment springt die Tür auf und die Kinder kommen hereingestürmt.
„Herzlich Willkommen in unserem Hause“, sagt Frau Müller, die Leiterin des Pensionistenheims. „Kommt nur hervor zu mir. Links könnt ihr auf den Tisch eure Jacken hinlegen.“
Die Kinder gehen auf die Bühne und stellen sich in drei Reihen auf und der Lehrer von ihnen schüttelt Frau Müller die Hand. „Vielen Dank für die Einladung.“
„Wir begrüßen die Klasse 3a aus der Volksschule am Kirchenplatz und freuen uns, dass sie mit uns den Vormittag verbringen.“
Die Schüler stimmen die Lieder an und singen gemeinsam mit den Bewohnern.
„Vielen Dank liebe Kinder. Wir möchten euch ein kleines Geschenk machen.“ Frau Müller überreicht dem Lehrer einen Korb voller Zuckerstangen. „Leider ist es Zeit zum Verabschieden. Wir freuen uns, wenn ihr nächstes Jahr wiederkommt.“
Die Kinder verlassen den Aufenthaltsraum und blicken nochmals zurück und winken. Frau Friedinger winkt ihnen zu und wischt sich mit ihrem Taschentuch über die Augen.

 

© 2020 Sandra Novak (Wien)

 


 Weihnachtstraum

„Ich werd verrückt, schau dir das an!“ Caro blieb wie angewurzelt vor einem weihnachtlich dekorierten Schaufenster stehen, um die Auslage zu bestaunen. „Das ist der wahr gewordene Traum für jeden, der auf Zuckerschock steht.“
„Also für jemanden wie dich“, frotzelte Finn. „Im Büro sind wir zufällig auf das Thema ‚interessante Lädchen‘ gekommen, und als Jack diesen hier erwähnte, wusste ich, dass er dir gefallen würde.“
„Gefallen?“ Caro zog ihn zur Eingangstür. „Er ist genial. Komm schon, das müssen wir uns ansehen.“


Die melodische Türglocke meldete ihr Eintreten, und eine ältere Dame erschien zu ihrer Begrüßung. Der britische Akzent war für Caro das Tüpfelchen auf dem ‚i‘; der perfekte Candy-Store, wie sie ihn in England kennen- und liebengelernt hatte.
„Ein wunderbarer Laden“, seufzte sie und war mit der Besitzerin im Nu in ein fachmännisches Gespräch über Toffees, Jelly Beans und selbstgemachte Bonbons vertieft. Sie zwinkerte ihrem Mann zu, bevor sie wieder die knallbunten Köstlichkeiten bewunderte.


Nach einer Weile wandte sich Bridget, wie sich die Herrin der süßen Versuchungen vorgestellt hatte, direkt an Finn: „Sie haben Recht, junger Mann. Ihre wunderbare Frau ist genau die Richtige.“
Dieser nickte und grinste Caro an. „Jack hat mir erzählt, dass seine Großtante wieder zurück nach England möchte, ihren Laden aber unbedingt in erfahrene und liebevolle Hände geben will.“
Weiter kam er nicht, weil sie ihm mit einem Jubelschrei um den Hals fiel. „Finn, du bist süßer als jede Zuckerstange dieser Welt!“

Was so ziemlich das größte Kompliment war, das man von ihr bekommen konnte.

 

 © 2020 Anathea Westen (Lipperland)

 


Tag der Erkenntnis

Tom hatte angehalten. Wusste der Kuckuck warum. Eigentlich hatte er keine Zeit. Die nächste Präsentation wartete bereits und er war noch nicht an seinen Zielort angelangt. Dennoch parkte er inmitten dieses einsamen Waldstückes. Tom stieg aus, sog die kalte Dezemberluft ein. Er brauchte Ruhe. Dringend. Doch das musste warten. Die Geschäfte mussten laufen. Natürlich hatte er Frau und Kind enttäuscht.

Plötzlich merkte Tom ein rötliches Leuchten hinter einer Hecke. Wie unter einem Bann ging er schauen. Zuckerstangen, die in eigenartigem Glanz leuchteten, säumten einen schmalen Waldweg. Am Ende des Wegs war ein Lebkuchenhaus. Das war unmöglich und doch stand es da. Es lockte Tom förmlich zu sich. Unfähig, sich diesem Zauber zu erwehren, steuerte er darauf zu.
Vor der Tür stand die alte Hexe, aber anstelle des Monokels, mit dem sie ihre Sicht besserte, trug sie eine Taschenuhr. Die Zauberin deutete mit ihrem knochigen Finger auf einen Käfig. Tom erschrak beim Anblick seiner vierjährigen Tochter, die dort einsam in einer Ecke kauerte. Er eilte zu ihr und stieß mit seiner Frau, die schwere Wassereimer schleppte, zusammen. Stumm, mit weit aufgerissenem Mund und unendlich traurigen, müden Augen sah sie ihn an. Tom begriff schlagartig. Er rannte zur Hexe, riss ihr die Taschenuhr ab und zerbrach sie. Jäh saß er wieder im Auto.

Er fuhr los, Richtung zuhause. Er blieb nur stehen, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Alle Termine im Dezember sagte er ab. Daheim wartete eine Familie, die auf gemeinsame Zeit hoffte. Ohne Termindruck fühlte Tom sich befreit.

 

© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)

 


Auf dem Christkindelmarkt

Lisa zerrte ihren Vater an der Hand über den Weihnachtsmarkt.
„Langsam!“, mahnte die Mutter, die ihnen mit Lisas Bruder Lukas folgte.
„Ich will aber Karussell fahren und Zuckerwatte“, rief das Mädchen und hüpfte auf und ab.
„Alles zu seiner Zeit“, sagte der Vater und steuerte die Würstchenbude an, wo er Bratwurst und Schaschlik orderte.

Danach durfte Lisa zum Karussell und Lukas versuchte sich beim Dosenwerfen, wo er einen kleinen Modellbausatz gewann. Die Mutter zog ihre Kinder scherzhaft am Süßigkeiten-Stand vorbei, was laute Protestrufe hervorrief. Jeder suchte sich etwas aus und alle zupften genüsslich eine Portion Zuckerwatte. Zum Schluss gab es Glühwein für die Erwachsenen und Kinderpunsch für Lisa und Lukas.

Ein Leierkastenmann begann zu spielen und lenkte die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich. Während er kurbelte und sang, versuchte er vergeblich im rechten Moment auf die Bildtafeln zu deuten, die zu seiner Geschichte gehörten. Lisa schaute eine Weile mit zusammengekniffenen Augen zu und wer sie kannte, wusste, dass es in dem kleinen Köpfchen arbeitete. Überraschend griff sie in die Süßigkeitentüte und zog die große rot-weiß geringelte Zuckerstange heraus, die sie sich ausgesucht hatte.  Kess marschierte sie zum Musikus und zeigte damit auf die passenden Bilder, was beim Publikum Gelächter auslöste. Am Ende applaudierten die Leute begeistert und Lisa verbeugte sich stolz.

Am nächsten Tag rief die Mutter ihr Töchterchen in die Küche. In der Zeitung war ein kleiner Artikel über den Weihnachtsmarkt abgedruckt und ein Bild von Lisa, die mit ihrem süßen Zeigestock neben dem Leierkastenmann steht.

 

© 2020 Flora MC (Alsace)

 


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