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Türchen 24 "Christbaumkugel"



Kugel der Erkenntnis

Alles um sie herum ist scheiße und sie sitzt mittendrin. Wie die Glucke auf einem faulen Ei, die darauf wartet, dass doch noch ein Küken schlüpft. Aber in Wahrheit ist das nur tote Masse, aus der nichts Lebendiges mehr hervorgehen kann.

Das Grübeln lässt sie nicht schlafen und außerdem ist sie durstig. Drum steht sie auf und geht hinunter ins Wohnzimmer, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Sie macht kein Licht. Der volle Mond scheint durch das Fenster und erhellt eine der gläsernen Kugeln, die den Weihnachtsbaum schmücken. Während sie trinkt, starrt sie verträumt auf die Christbaumkugel und stutzt. Was war das? Nebel wabert im Innern des Glaskörpers.

Sie tritt näher und staunt. Der Dunst löst sich auf und zeigt eine Szene, deren Mittelpunkt eine attraktive Frau ist, die sie jetzt anlächelt. Erschrocken stellt sie fest, dass es sich dabei um sie selbst handelt.
Dennoch ist diese Person eine völlig andere. Sie hat eine Arbeit, ist fröhlich und beschwingt. Selbstbewusst bewegt sie sich durchs Büro, unterhält sich mit den Kollegen und dann kommt ihr Chef und drückt ihr anerkennend die Hand.
Was sie sieht, gefällt ihr, sehr sogar. So soll Ihr Leben aussehen! So will sie sein! Ein vollkommen anderer Mensch, glücklich und von innen heraus strahlend. Zufrieden mit sich und der Welt.

Sie würde alles in Bewegung setzen, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Nicht mehr das dumme Huhn sein, sich selbst aus dem Nest schubsen und ihre Komfortzone verlassen.
„Morgen, heute ... Nein, am besten gestern!“

 

© 2020 Flora MC (Alsace)

 


Die rote Christbaumkugel

Peter hat gestern Abend den Christbaum von der Terrasse hereingeholt und ins Wohnzimmer gestellt. „Er muss sich noch aushängen bevor wir ihn schmücken können.“
„Peter, komm. Wir schmücken den Christbaum. Mach doch den Laptop mal zu“, fordert Susanne ihren Ehemann nächsten Morgen auf.
Er seufzt auf und erhebt sich. „Na gut, ich hole mal den Christbaumschmuck vom Keller.“
„Bis gleich.“ Susanne begibt sich ins Wohnzimmer und schaltet das Radio ein.
„Muss diese Weihnachtsschnulze wirklich sein?“ Peter kommt mit den Schachteln herein.
„Du Miesepeter. Immer das gleiche mit dir zu Weihnachten. Komm lass uns den Baum schmücken, bevor die Kinder uns besuchen kommen.“
Peter macht den Karton mit der Lichterkette auf. Die beiden nehmen sich gemeinsam die Kette heraus und befestigen sie am Christbaum. „Hoffentlich funktioniert dieses alte Ding noch?“
„Stecke sie doch mal ein“, antwortet Susanne.
Die Lichter gehen an.
„Sieht der Christbaum wieder schön aus.“
„Mein Weihnachtsfreak.“ Peter legt zärtlich die Hand auf die Schulter seiner Ehefrau.
Susanne hängt abwechselnd eine silberne und rote Kugel auf den Baum. „Peter, jetzt bist du dran mit der roten Spitze.“
Er befestigt die Spitze am Baum und es scheppert. Peter zuckt zurück. „Was war das?“
Sie blicken unter dem Baum und sehen, wie sich der Kater hinter einem Ast versteckt. Die Scherben einer roten Christbaumkugel am Boden liegen.
„Nicht schon wieder!“, setzt Susanne zum Schimpfen an.
Peter verkneift sich ein Grinsen. „Alles wie jedes Jahr. Aber mein Schatz Scherben bringen Glück. Ich wünsche dir frohe Weihnachten.“

 

 © 2020 Sandra Novak (Wien)

 


Ein bisschen Weihnachtsmagie ...

„Das da ist meine Lieblingskugel.“ Lara deutete auf eine golden schimmernde Kugel mit funkelnden Sternen darauf. „Sie glänzt am meisten und ist die wunderschönste von allen.“
Ihre Schwester Eva konnte sich hingegen nicht entscheiden. Sie fand jede Kugel auf ihre eigene Art liebenswert. „Ich mag sie alle. Es sind doch Christbaumkugeln, die uns jede Weihnacht begleiten.“
Lara prustete abfällig. „Ist ja Quatsch. Es ist nur Deko, keine Freundschaft fürs Leben.“ Sie schaute genau hin. „Schau mal, dort blättert schon etwas ab, und die da ist voll unmodern. Die können wir im nächsten Jahr auf jeden Fall durch neue Kugeln ersetzen.“
„Aber die haben wir von Ur-Omi bekommen!“ Eva war entsetzt. „Die kann man nicht einfach austauschen.“
Doch auch die Mutter fand, dass die Zeit für neuen Weihnachtsschmuck gekommen war.

Viele Jahre später stand Eva vor dem kleinen Weihnachtsbaum in ihrer Wohnung und betrachtete lächelnd die alten Christbaumkugeln, die sie damals vor der Mülltonne gerettet hatte.
Ihre Ur-Großmutter hatte nur wissend gelächelt. „Dann sind sie für dich bestimmt und werden dich viel lehren.“
Eva stellte fest, dass es in jedem Jahr eine andere Kugel gab, von der ein besonderer Schimmer ausging. Wenn man diese am Heiligabend sanft berührte, öffnete sich ein Portal in eine winterliche Welt. Inzwischen war sie mit ihr vertraut und konnte das jährliche Wiedersehen kaum abwarten.


Bevor sie in dieser Nacht abtauchte, schloss sie kurz die Augen und vergaß nicht, ihren alljährlichen Weihnachtswunsch für diese Welt zu murmeln: „Ich wünsche uns allen ein magisch-schönes Weihnachten!“

 

 © 2020 Anathea Westen (Lipperland)

 


Oh Tannenbaum, wie schön ist Erinnern

Es war der erste Dezember in unserem neuen Heim. Extra Käufe waren nicht drin. Dazu gehörte auch Weihnachtsschmuck. Amy und ich gingen auf den Dachboden und holten unsere kleine Plastik Tanne, die Vater uns zu Kinderzeiten mal auf den Flur gestellt hatte. Die Krippe war selbstverständlich jene, die schon immer im Familienbesitz gewesen war. Es fehlten nur die Kugeln sowie die Lichterketten. Ratlos sah ich meine Schwester an.
„Zur Ausschmückung ein paar Tannenzapfen aus dem Wald.“
Amy lachte verschmitzt. „Ich wüsste da etwas Besseres.“
Sie ging in ihr Atelier und kam mit einer alten Tüte zurück. Verdutzt nahm ich sie an mich. „Aber das sind...“
Ich hielt die erste Kugel hoch. Schön war sie nicht mehr, stellenweise blätterte das Silber ab.
„Alte Kugeln. Vater wollte sie wegwerfen. Aber ich meinte, dass dies für diese Weihnacht reichen könnte. Sieh mal unsere goldene Spitze. Wer stellt sie dieses Jahr auf?“
„Du. Und diese Glocken aus Kunststoff sowie diese Stoffkugeln. Was haben wir gelacht, wenn unser Dackel Rex sie mit seiner Rute herunter wedelte. Extra wegen ihm besaßen wir diese Kugeln. Sieh diese hier! Oh mein Gott! Das wir die noch haben!“
Zum Vorschein kamen gelbliche mit undefinierbaren Mustern, bestickte Kugeln. Amy schob sie beiseite. „Machen wir es wie früher. Zu guter Letzt aufhängen und gut verbergen. Aber zuerst die Krönung. Gute alte Lichterketten mit ersetzbaren Glühbirnen, inklusive Kabelknoten.“

Am Ende sah unser Weihnachtsbaum retromäßig aus. Dafür war er voller schöner Erinnerungen, an die wir gerne zurückdachten.

 

© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Karin (Donnerstag, 24 Dezember 2020 10:48)

    Frohe Weihnachten Euch Schreiberlingen. Ihr habt mir mit euren Geschichten die Tage bis heute versüßt.
    Alles Gute und bleibt gesund.
    Karin

  • #2

    Lucy (Samstag, 26 Dezember 2020 14:20)

    Frohe Feste euch allen,

    Gesundheit und Glück.

    Mit dem Kalender war das Warten leichter, jeden Morgen durfte ich lesen. Lieben Dank für den Lesegenuss.

    Lucy